Zur Sommerszeit, wo Eltern kaum Bücher kaufen, aber Ferien-Kinder doch lesen, wurde die Entscheidung bekanntgegeben: Mit dem Deutschen Jugendbuchpreis 1975 wurden ausgezeichnet Friedrich Karl Waechter für das Bilderbuch „Wir können noch viel zusammen machen“ (Parabel Verlag), Jean Craighead George für das Jugendbuch „Julie von den Wölfen“ (Sauerländer Verlag) und David Micaulay für das Sachbilderbuch „Sie bauten eine Kathedrale“ (Artemis Verlag). Damit wurden von den vier vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit ausgesetzten Einzelpreisen (mit je 7500 Mark dotiert) nur drei vergeben. Nicht verliehen wurde der Preis für das Kinderbuch. Dafür gab es zum Internationalen Jahr der Frau einen Sonderpreis, ebenfalls 7500 Mark, der Angelika Kutsch für ihren Jugendroman „Man kriegt nichts geschenkt“ (Union Verlag) zuerkannt wurde.

In den letzten Jahren haben die Einzeljurys versucht, in den jeweiligen Preisbüchern und den dazugehörigen Auswahllisten die Bilder-, Kinder- und Jugendbücher herauszustellen, die den momentanen Stand der Gattung erkennen lassen. In diesem Jahr hat sich auch an der lapidar kurzen Auswahlliste gezeigt, daß die Bilderbücher die kritischste Gruppe sind. Obgleich von den Verlagen ohnehin nur ein Viertel der Gesamtproduktion eingereicht wurde, ist auch in dieser Auslese immer noch die große Unsicherheit sichtbar: Verleger, Maler und Texter können sich vom alten klassischen Künstlerbilderbuch nicht trennen, finden aber keine neuen Inhalte, werden mit der Forderung nach Realismus nicht fertig und flüchten sich zu gern in die, allerdings von Lesern hochgeschätzte, Zeitlosigkeit von Tiergeschichten.

Das Buch von Waechter, einem der wenigen souveränen, sicheren und witzigen Maler-Autoren, zeigt mit munterer List, wie man sozialen Auftrag, objektive künstlerische Qualität und Rücksicht auf die Lust der Kinder an Spiel und Unsinn unter einen Hut bringen kann. Kein schlechtes Beispiel für kommende Jahre.

Daß die Kinderbuchjury keines der 160 zur Wahl stehenden Bücher für preiswürdig fand, liegt wohl auch, an der recht zufälligen und nicht korrigierten Verteilung der Bücher in die vier Gruppen. Auf Ungerers „Kein Kuß für Mutter“ (taucht bei den Bilderbüchern auf) und die vorzügliche skandinavische, Reihe von – Monica Gydal und Thomas Danielson „Ole und seine Welt“ (aus unerfindlichen Gründen bei den Sachbüchern zu finden) hätte sich die Jury vielleicht doch einigen können.

Mit dem Jugendbuch und dem Sachbuch sind zwei Bücher prämiiert worden, die eindeutig zu den besten und interessantesten des Jahres 1974 gehört haben und als Beweis dafür genommen werden können, daß sich der allgemeine Trend von der von Kindern schwer konsumierbaren sozialen Experimental-Literatur wieder auf die Kinder- und Jugendbücher zu bewegt, die die Ebene der wirklichkeitsblinden Zeigefingermoral hinter sich lassen und über das Jahr ihrer Prämiierung hinaus in Gebrauch bleiben werden.

Sybil Gräfin Schönfeldt