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Link des Monats: Los Superdemokraticos
http://superdemokraticos.com
2010, August
Die Deutsche Nikola Richter und die Bolivianerin Rery Maldonado geben sich selbstbewusst: "Wir machen eine Revolution von der Küche und von Wohnzimmer aus, wie unsere Großmütter". Seit Mitte Juni 2010 betreiben die beiden in Berlin lebenden Autorinnen mit einem Team von Grafikern und Übersetzern das zweisprachige literarische Blog "Los Superdemokraticos".
"Das was ich über die Geschichte meines Landes gelernt habe, ist, sie in Frage zu stellen?" Luis Felipe Fabre, Mexiko-Stadt
Die Idee kam Richter und Maldonado nicht zufällig. Im Jahr 2010 feiert Lateinamerika seine 200-jährige Unabhängigkeit von den europäischen Kolonialmächten: "Wir wollten in diesem Rahmen ein Pilotprojekt zu intellektuellem Fairtrade starten: fairer Handel mit intellektueller Arbeit, gleichberechtigte Gespräche zwischen drei Kontinenten über unseren Alltag als Bürgerinnen und Bürger unter 40 Jahren, netzaffin und demokratisch sozialisiert." Die Idee, einen virtuellen Verlagskatalog zu erstellen, wurde bei Seite geschoben. Stattdessen sollte mit Hilfe eines öffentlichen Blogs nun bessere Kontakte zwischen Autoren aus Lateinamerika und Deutschland geknüpft werden.
Schnell hatten beide mit einer offenen Ausschreibung im Bekanntenkreis und in Online-Netzwerken Erfolg: "Es haben sich fast 200 Autorinnen und Autoren beworben, mit einer kurzen essayistischen Biographie. Uns war wichtig, dass die Autoren aus den unterschiedlichsten Kontexten kommen: Alter, sexuelle Orientierung, Familie, Beruf...", so die beiden Autorinnen. Daraufhin wurden Blogger aus zwölf Ländern ausgewählt und auch die Posten für Übersetzer sollen recht begehrt gewesen sein. Zusätzliche Förderer fanden sich in der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und der Wochenzeitung "der Freitag", die ausgewählte Blogbeiträge abdruckt oder in ihr Onlineangebot übernimmt.
Zusammengestellt wurde eine bunte Autorenschar, die sich unter anderem aus Studenten, Journalisten, Romanciers, Lyrikern, Verlegern, bildenden Künstlern und natürlich auch erfahrenen Bloggern zusammensetzt. In kurzen Online-Essays nehmen diese bis zum 11. Oktober 2010 zu Fragen aus den Themenbereichen "Geschichte", "Körper", "Bürger" und "Globalisierung" Stellung. So berichtet beispielsweise der Mexikaner Carlos Manuel Velázquez vom gefährlichen Leben an der US-amerikanischen Grenze, was er kürzlich auch in der taz thematisierte. Die Kubanerin Lizabel Mónica erinnert sich an ihre Großmutter, die der Enkelin die Politik Castros mit dem einfachen Wortschatz der klugen Hausfrau beizubringen versuchte.
Auch Geschichten über Neuanfänge werden präsentiert, so die Eindrücke der Costa Ricanerin Lena Zúñiga, der Venezolanerin Liliana Lara und des Kubaners Pedro Alexander Bravo Lavín, die es in die USA, Israel und nach Deutschland verschlugen. Aktuell wird über das Thema "Körper" diskutiert. Aus Deutschland selbst nehmen unter anderem die Leonce-und-Lena-Preisträgerin Sabine Scho und die Schriftstellerin Claudia Rusch teil, deren semiautobiographischer Band "Meine freie deutsche Jugend" 2004 eine Nominierung für den Deutschen Bücherpreis erhielt. Scho lebt mittlerweile selbst in Brasilien, während Rusch sich erneut der DDR als Thema annährt.
Parallel zu den täglichen Blogbeiträgen veranstaltet Los Superdemokraticos monatlich Sommersalons in Berlin, die auf der Website angekündigt werden. Außerdem kann man unter dem Stichwort ¡Kooperativa! selbst am Gedankenaustausch über Produktion und Verbreitung von intellektuellen Gütern teilhaben. Ebenfalls ist zum Ende des Projekts im Oktober ein Besuch der Frankfurter Buchmesse geplant, auf der dieses Jahr Argentinien als Gastland vertreten sein wird.
Kurz nachgefragt: Interview mit Nikola Richter & Rery Maldonado
Universitätsbibliothek: Geschichte, Bürger und Globalisierung lassen sich als Diskussionsthemen leicht nachvollziehen, doch was hat es mit dem aktuellen Thema "Körper" auf sich?
Nikola Richter & Rery Maldonado: Der Körper aus Fleisch und Knochen stellt die erste Instanz des Bürgerseins dar: in ihm sieht das Subjekt seine Freiheit begrenzt oder nicht, und in ihm wird der freie Wille auf die Probe gestellt. Über Erziehung und Gesetzgebung normieren und regulieren die Staaten unser physiologisches Verhalten. Dieses Verhalten ist der plastischste Ausdruck der Werte einer Zivilisation, der Werte, die die Standards definieren, was denn Liebe, Reproduktion, Religion, Leben sein sollte.
UB: Die Vorstellung bei bpb.de schließt mit der Frage, ob Blogger aus Lateinamerika und Deutschland ähnliche Fragen an die Zukunft haben. Kann man nach fast anderthalb Monaten schon Gemeinsamkeiten oder große Unterschiede ausmachen?
NK&RM;: Wie Intimität heute wahrgenommen wird, hat natürlich in der Generation der unter 40-jährigen, die bei uns schreiben, immer auch mit digitaler Kultur zu tun. Digitale Realität fließt in die nicht-digitale Welt. Das ist in Lateinamerika ähnlich wie in Deutschland. Auffällig war auch die beiderseitige Skepsis gegenüber den Großen Erzählungen der Geschichte. Die Betonung lag auf persönlich erzählten historischen Fakten (Großmütter), aber auch auf der eigenen Rolle, die Geschichte zu prägen.
UB: Beiträge von Los Superdemokraticos erscheinen beim "Freitag". Der Autor Carlos Manuel Velazquez wurde jüngst in der taz über den Drogenkrieg an der mexikanisch-amerikanischen Grenze befragt. Gibt es ähnliche Kooperationen mit spanischsprachigen Medien?
NK&RM;: Wir sind dabei, das zu organisieren. Lateinamerikanische Blogger haben uns allerdings schon wahrgenommen. Das liegt aber auch daran, dass einiger unserer lateinamerikanischen Autoren wie Alan Mills, Lena Zuniga, Agustín Calcagno oder Tilsa Otta fleißige Blogger sind.
UB: Los Superdemokraticos läuft bis zum Oktober 2010. Ist an eine Fortführung oder ähnliche Projekte in der Zukunft gedacht?
NK&RM;: Wir würden gerne eine Konferenz zu dem Thema organisieren, für die Buchmesse in Guadalajara, Mexiko, wenn Deutschland dort Gastland ist.
UB: Danke für Ihre Antworten!