Zerstörte Vielfalt : Der braune Kick

10.08.2013 16:33 UhrVon Vera Kattermann
Profiteurin aus der zweiten Reihe. Lysa Kayser-Corsy. Nachlass Kayser-Corsy
Profiteurin aus der zweiten Reihe. Lysa Kayser-Corsy. - Nachlass Kayser-Corsy

Unterhaltung mit Hakenkreuz: Die perfide Karriere der Tänzerin Lysa Kayser-Corsy im Nationalsozialismus.

Das Berlin der Weimarer Republik fasziniert bis heute durch seine laszive Lebensfreude in der Nähe zum faschistischen Abgrund. Die in diesem Klima üppig gedeihenden künstlerischen Ausdrucksformen machten die Metropole zur Hauptstadt der Experimente. So brachten Mary Wigman oder Gret Palucca den expressionistischen Ausdruckstanz zu weltweit Aufsehen erregender Blüte. Wie konnte ein derart fruchtbarer, kreativer Boden innerhalb weniger Jahre zur verkarsteten Steppe nationalsozialistischer Monokulturen werden? Vielfalt verkümmerte zu Einfalt, unter dem Diktat eines faschistisch verordneten Kunstbegriffs und gleichgeschalteter Kunstkritik.

Das Berliner Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“ zum 80. Jahrestag der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten dokumentiert diesen Prozess der Verarmung und Auslöschung und erinnert an seine Opfer. Merkwürdig jedoch, dass das Motto des Gedenkjahres die Akteure dieser Vernichtung ins Passive wendet. Die Vielfalt wurde zerstört – aber von wem und wie? In den meisten der mehreren hundert Veranstaltungen bleiben die Verantwortlichen ebenso wie die Nutznießer der Zerstörung ungenannt. Dabei lassen sich die feinen Wirkmechanismen der umfassenden Auslöschung künstlerischer Vielfalt nur unter Einbezug ihrer Perspektiven nachvollziehen.

Über 4000 deutschsprachige Bühnenkünstler mussten zwischen 1933 und 1945 das Land verlassen. Wer blieb, konnte Karriere machen. Aber wie kam es, dass viele Künstlerinnen und Künstler die Gleichschaltung bereitwillig mittrugen und beförderten? Wie viel Verantwortung kann man von Künstlern der NS-Zeit erwarten, wie viel Bewusstsein der Vereinnahmung und des Umschlags dieser Vereinnahmung in bejahende Begeisterung? Der Blick aus heutiger Sicht oszilliert meist zwischen Bewunderung, Entschuldigung und Anklage. Dabei lohnt es sich, die Dynamik der Vereinnahmung näher zu betrachten, zum Beispiel mit Hilfe des Nachlasses der NS-Bühnentänzerin Lysa Kayser-Corsy. Die Dokumente sind erst kürzlich zum Vorschein gekommen. Ihre Entdeckung ist erhellend.

Anfang der dreißiger Jahre musste sie noch mühselig um Engagements ringen. Sie suchte weniger nach Ausdruck denn nach schnellem Ruhm. Sie wollte gefallen, egal wem. „Ich habe die deutschen Theater einmal Trutzburgen genannt“, schrieb der Präsident der Reichstheaterkammer Ludwig Körner, „Trutzburgen deutschen Geistes und deutscher Kultur. Und die deutschen Bühnenschaffenden sollen die wehrhaften Bemannungen dieser Hochburgen sein.“

Der Aufstieg von Kayser-Corsy ist ohne den Nationalsozialismus nicht denkbar

1940, als diese Zeilen erscheinen, ist Lysa Kayser-Corsy 31 Jahre alt, schon eine Frau auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Mit ihrem Mann tritt sie als Frontbühnenstar in über tausend Vorstellungen auf. Das Studium ihres Nachlasses erlaubt psychologische Einblicke in die Mechanismen der Anpassung. Wer als Künstler nach dem Gefühl der Erhabenheit, nach Auszeichnung gierte, konnte es sich im Nationalsozialismus schnell und einfach verschaffen, denn die NS-Ideologie war ihrerseits von rauschhaften Überlegenheits- und Größenfantasien getränkt. Das Totalitäre bestand nicht nur in der ideologischen Durchdringung des Alltags und des öffentlichen Lebens, sondern auch in der Vereinnahmung seelischer Instanzen.

Die Karriere der Lysa Kayser-Corsy, die mit bürgerlichem Namen Liselotte Schmidt hieß, ist ohne den Nationalsozialismus nicht denkbar. Bei Engagements für die „Deutsche Arbeitsfront“ in den Vorkriegsjahren und Vorstellungen für die Wehrmachtssoldaten während des Kriegs wurde sie umschmeichelt und privilegiert. Die kulturelle Massenmobilisierung im Rahmen der „Kraft durch Freude“-Programme und Fronttheaterauftritte bescherte Bühnenkünstlern steigende Zuschauerzahlen. Spielten 1933 in Deutschland noch 142 Theater mit 22 000 Beschäftigten, so waren es 1940/41 auf dem Höhepunkt des Eroberungskrieges 248 Theater mit 44 000 Beschäftigten. Die Zahl der Bühnen stieg mit den Okkupationen des „großdeutschen Reichs“, damit stiegen auch die Karrierechancen für Schauspieler. Materieller Profit, narzisstische Gier, der Nationalsozialismus konnte beides befriedigen.

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Unser/e Leser/in kph meint zum Artikel: Berlin ist eine Herausforderung für die Parteien:
Würden unsere Politiker so emsig während den Legislaturperioden, ihre Aktivitäten dazu nutzen die für den Bürger wichtige Themen anpacken, wie jetzt in der Endrunde des Bundestagswahlkampfes und auch so konsequent umsetzen. Wäre dies der Fall, würde die Wähler zu Hauf in die Wahllokale strömen um ihre Stimme gerne abzugeben. Was sich jetzt hier in Berlin und in den anderen Städten unserer Republik abspielt, ist Wahlkampftheater ohne nachhaltige Folgen und hat keinen Bestand.
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