Azoren : Bittere Zeiten für milden Tee
11.08.2013 00:00 UhrEs ist heiß an diesem Sommertag. Dennoch stehen die Arbeiter in der prallen Sonne, pflücken Teeblätter und bringen sie zur Fabrik. Weit haben sie es zum Glück nicht bis zu dem weißen Bau, in dem die Blätter weiterverarbeitet werden. Die Fabrik ist das Herz der Plantage. Mit ihrer schattigen Veranda, den üppig blühenden Hortensien und dem leicht bröckelnden Anstrich erinnert sie eher an Kolonialzeiten, an Teegesellschaften und Abendempfänge.
Dass hier Tee gemacht wird, verraten einzig die großen roten Buchstaben an der Hauswand. „Chá Gorreana 1883“ steht auf der Fassade. Chá heißt Tee auf Portugiesisch, Gorreana ist die Region, in der die Familie Motta seit 1883 in nunmehr fünfter Generation Tee anbaut.
Nicht in Übersee, sondern in der Europäischen Union – auf den Azoren. Das macht „Chá Gorreana“ zu einer Besonderheit: Die Plantage ist die letzte ihrer Art in Europa.
Drei Teeplantagen gibt es noch in der EU – eine kleine Pflanzung in Cornwall, in der Nähe von Truro und zwei auf den Azoren. Die Inselgruppe gehört mit ihren meteorologischen Hochs zwar zu den Stammgästen der Wetterberichte, taucht aber ansonsten eher selten in den Weltnachrichten auf. Das liegt auch an ihrer Lage. Die neun zu Portugal gehörigen Inseln sind der westlichste Außenposten der EU.
247 000 Menschen leben hier und – gefühlt – mindestens fünf Mal so viele Kühe. Kuhherden und kleine Pferdefuhrwerke gehören zum Straßenbild dazu. Nicht nur auf den kleinen Dorfsträßchen, sondern auch auf den mit EU-Mitteln ausgebauten neuen Straßen tauchen Kühe auf, wenn sie von einer Weide zur nächsten getrieben werden.
Das Klima auf den Azoren ist mild, die Inseln sind fruchtbar und frostfrei. Die Sommer sind trocken, dafür gibt es von Herbst bis zum Frühling reichlich Niederschläge. „Das sind gute Bedingungen für unseren Tee“, sagt Hermano Estrela d’Athayde Motta. Mit seinem weißen Bart erinnert der 71-Jährige ein wenig an den Schriftsteller Ernest Hemingway, und wie Hemingway erzählt auch Motta gern Geschichten. Etwa von seinem Streit mit dem Besitzer der Nachbarplantage „Chá Porto Formoso“, dem er einst Maschinen und Arbeiter geborgt hat, um die Ernte einzubringen. „Und dann hat er sich noch nicht mal bedankt“, ärgert sich Motta. Auf den Azoren, wo jeder jeden kennt, vergisst man so etwas nicht.
Eine Konkurrenz ist der kleine Nachbar mit seiner geringen Anbaufläche nicht. Und auch die Engländer spielen mit ihrer Jahresproduktion von gerade einmal einer Tonne wirtschaftlich keine Rolle. Motta und seine 32 Arbeiter produzieren 40 Mal so viel – schwarzen Tee (Orange Pekoe, Pekoe) und grünen. Der Tee ist mild, enthält kaum Bitterstoffe. Weil es auf den Azoren weder Spinnen noch Moskitos und auch keine Pilzkrankheiten gibt, die dem Tee schaden könnten, kommen die Pflanzer ohne Pestizide, Herbizide und Fungizide aus. Die Blätter werden per Hand verarbeitet – mithilfe von Maschinen, von denen einige noch aus dem vergangenen Jahrhundert stammen.