Berliner Brücken (8) : Erst kommt der Mensch - Die Carl-Zuckmayer-Brücke

10.08.2013 16:23 Uhrvon
Pracht und Idyll. Die Carl-Zuckmayer-Brücke. Thilo Rückeis
Pracht und Idyll. Die Carl-Zuckmayer-Brücke. - Thilo Rückeis

Sie sieht aus wie der Rest eines Schlosses, ist aber ein U-Bahnhof – die Schöneberger Carl-Zuckmayer-Brücke.

Wer sich von Westen nähert, vom alten RIAS-Gebäude her, sieht zunächst nur einen Schemen, einen Schatten. Zwischen den Bäumen des Rudolph-Wilde-Parks blitzt heller Sandstein hindurch. Dazu hohe Sprossenfenster, eine Balustrade, gekrönt von Skulpturen.

Je näher man kommt, desto prachtvoller wird das Gebäude. Säulen sind da und Erker, die sich nach innen wölben, eingemeißelte Wappen, bewacht von streng dreinblickenden Männerköpfen. Breite Treppen führen rechts und links hinauf, den oberen Absatz krönen Steinvasen. Die aristokratisch anmutende Fassade wird von einem Wasserbassin gespiegelt, das sich, schilfumgürtet, davor ausbreitet.

Ein Schwarm quicker Goldfische schwimmt dort herum, Trauerweiden breiten schutzbietend ihre Astarme aus.

Sollte es in Schöneberg früher ein Schloss gegeben haben, den Wohnsitz gar eines Preußenprinzen vom hinteren Ende der Thronfolgeliste? Ist dies die Orangerie des Gebäudeensembles, dessen Haupthaus ein Opfer des Weltkriegs wurde? Ein Belvedere, verschont vom Bombenhagel?

Da huscht plötzlich etwas Orangegelbes hinter den Fenstern vorbei. Groß, kantig. Und so gar nicht herrschaftlich.

Es ist der Zug der U-Bahn-Linie 4, die das einfache Volk vom Innsbrucker Platz zum Nollendorfplatz transportiert, seit 1910. Einst hieß die Station „Stadtpark“, wie die originalen Schrifttafeln im unteren Eingangsbereich noch verkünden. Über der Treppe aber prangt der heutige Name, geschrieben auf Glasplatten, die sich nachts beleuchten lassen: Rathaus Schöneberg.

Ein Lied kann eine Brücke sein, das wissen wir seit Joy Flemings Song für den Grand Prix 1975. Aber ein U-Bahnhof? Als sich die autonome Stadt Schöneberg vor gut 100 Jahren anschickte, die erste kommunale Untergrundbahn zu bauen, beschlossen die Ingenieure, dort, wo die Linie eine späteiszeitliche Bodensenke passiert, keinen Erdwall über dem Bahnhof aufzuschütten, sondern den Fahrgästen einen freien Blick ins Grüne zu gestatten. Also ihn unter eine Brücke zu legen. Oben sollten die Menschen per pedes den Park überqueren können, unten die Züge halten. Eine pragmatische, eine geniale Idee.

Der gesamte Aushub der U-Bahn-Trasse wurde damals auf den morastigen Untergrund des Schöneberger Fenns geschüttet, Kubikmeter für Kubikmeter versickerte im Boden, bis der schließlich so weit stabilisiert war, dass die großen Spundkästen für den Brückenbahnhof eingerammt werden konnten.

Gerne hätten die profitgierigen Bauunternehmer, die hier gerade ein neues Viertel für Besserverdienende hochzogen, auch das Gebiet des heutigen Volksparks bebaut. Doch dann ging ihnen auf, dass eine weitläufige Grünfläche die Gegend auch aufwertet, freizeittechnisch gesehen. Also durften die Landschaftsgärtner herrschaftlich planen: Der Bereich westlich der Bahnstation wurde nach dem Vorbild französischer Barockgärten gestaltet, mit Platanenalleen, breiten Treppenanlagen, einem Brunnen mit hoher Säule, die ein goldener Hirsch bewohnt. Östlich wiederum orientierte man sich an der englischen Tradition, schuf von Menschenhand ein Ambiente, das wirkt, als sei es ganz natürlich so gewachsen.

Der Entwurf stammt vom KaDeWe-Architekten Emil Schaudt

Unsicher aber blieb das Terrain auch nach der botanischen Verschönerung, 60 Zentimeter war der U-Bahnhof irgendwann abgesackt, so dass 1995 mit grundlegenden Stabilisierungs- und Renovierungsarbeiten begonnen werden musste. Abgesehen von stillosen Schmierereien zeigt sich die Carl-Zuckmayer-Brücke heute wieder in altem Glanz. Als einziger U-Bahnhof mit Parkblick. Und als einzige Brücke, die den Grund ihrer Errichtung nicht quert, also im rechten Winkel überspannt, sondern parallel zu ihm verläuft. Immer der U-Bahn- Trasse nach, die von der Innsbrucker Straße mit ihren breiten Mittelstreifen herkommt. Im Parkbereich wird sie zur Fußgängerzone, die mit rötlichen Steinen markierten Fahrradwege werden von den beiden Fahrspuren zu einer einzigen mittigen zusammengeführt – damit die Passanten direkt an die Brüstung herankommen. Um von hier den Leuten zuschauen zu können, die unten auf den Liegewiesen picknicken, in großen Familienverbänden oder im Freundeskreis, die Frisbee spielen, Bälle kicken oder einfach nur ihre mehr oder minder attraktiven Körper dem Sonnenlicht aussetzen. An einem der wilhelminischen Laternenkandelaber hat jemand mit Kabelschloss eine grüne Plastikbank festgemacht, mit Platz für zwei Personen, entliehen wohl aus dem eigenen Schrebergarten. Weil es sich hier einfach besser im Abendrot sitzen lässt.

Richard Guhr hat die mythologisch inspirierten Skulpturengruppen geschaffen, muskelbepackte Tritonen, die dralle Nymphen übers Wasser tragen. Den architektonischen Entwurf für den Bahnhof wiederum lieferte Emil Schaudt, der damals gerade als Erbauer des 1907 eröffneten KaDeWe lokale Berühmtheit erlangt hatte. Der Park ist nach dem 1910 verstorbenen Schöneberger Bürgermeister Rudolph Wilde benannt. Bis 1963 hatte der Platz vor dem Rathaus seinen Namen getragen, dann musste er Kennedy weichen.

Und Carl Zuckmayer? Warum wurde gerade er für die Benennung der Brücke ausgewählt? Weil der Schriftsteller gleich um die Ecke gewohnt hat, von 1926 bis 1933, in der Fritz-Elsass-Straße 18, Ecke Hewaldstraße. Das Haus wurde zerbombt, 1957 durch einen schmucklosen Neubau ersetzt – mit kleinen Wohnungen für kleine Leute, durchaus im Sinne des Autors, der hier an seinem „Hauptmann von Köpenick“ arbeitete. Die Gedenktafel mit seinem Lebensmotto „Erst kommt der Mensch! Dann die Menschenordnung“ ist am Parkeingang kaum zu erkennen, dunkle Schrift auf dunklem Grund, umwuchert von Gestrüpp, unter dichten Baumkronen. Sein Namenszug an der Balustrade aber, in Metallbuchstaben ausgeführt, ist frei zugänglich – und darum nach neuester Mode auch mit Liebesschlössern behängt, von Ilse & Jürgen, Audra & Cody, Tanja & Deniz.

Den U-Bahnsteig erreicht man übrigens nur von oben, vom Brückenrücken, nicht von der Parkebene her. Einen Stahlskelettbau, gestützt von schlanken Gusseisensäulen mit zarten, jugendstiligen Kapitellen. Die Station macht einen gepflegten Eindruck, passend zur bürgerlichen Umgebung. Eines der historischen Kabäuschen fürs Abfertigungspersonal ist ganz aus Holz gefertigt, das andere blaugrün gefliest. „Kurzzug hält hinten!“ Die Stummellinie 4 fährt ein, wie immer nur mit zwei Waggons. Türen öffnen sich einladend. Warum eigentlich nicht Richtung Innenstadt einsteigen, über Bayerischen Platz und Viktoria-Luise-Platz zum Nollendorfplatz fahren und dort in die Linie 2 wechseln, die ihrerseits oben auf einer Brücke fährt? Bis bald, Schöneberg, meine Verehrung, Herr Zuckmayer. „Biieb, biieb, biieb!“

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