"Veggie Day" : Aus dem Bauch heraus

12.08.2013 10:17 Uhrvon
Junge Männer und Frauen demonstrieren Foto: dpa
Plakativ. Anhänger der Jungen Liberalen und der Jungen Union protestieren vor der Parteizentrale der Grünen in Berlin gegen den Vorschlag zur Einführung eines "Veggie Day". - Foto: dpa

Weil dem Bundestagswahlkampf die großen Themen fehlen, geraten Kontroversen wie das Für und Wider eines "Veggie Day" ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Sicher soll niemand das Spaltpotenzial der Frage "Veggie oder nicht" unterschätzen. Aber der Streit um fleischlose Kost bleibt trotz allem ein eher banales Randthema - das seine Medienkarriere vor allem der Debatte im Internet verdankt.

Vermutlich waren die Grünen am meisten überrascht, als es der von ihnen propagierte „Veggie Day“ zu Beginn der zurückliegenden Woche zu unverhofftem Medienruhm brachte. Ein fleischloser Tag pro Woche in öffentlichen Kantinen – das Thema schien die Republik zu spalten. Losgetreten von der „Bild“-Zeitung brach eine Berichterstattungslawine über Essgewohnheiten und die mutmaßliche Regelungswut der Grünen über das Land herein.

Es gibt in diesem Wahlkampf bis jetzt kein großes, alles überragendes Thema – auch wenn die Debatte über die Aktivitäten des US-Geheimdiensts NSA das Gegenteil vermuten lässt. Auch eine mit Händen greifbare Wechselstimmung lässt sich bisher nicht feststellen. Wie eine solche Wechselstimmung aussieht? Zur Abwechslung ein Blick in die jüngere britische Geschichte: Im Jahr 1979 fraß die Inflation das Einkommen der Inselbewohner auf, die Arbeitslosigkeit unter der Labour-Regierung erreichte die Marke von 1,4 Millionen. Die Werbeagentur „Saatchi & Saatchi“ verhalf Margaret Thatcher damals mit dem Spruch „Labour Isn’t Working“ zum Wahlsieg (wobei auch unter der „Eisernen Lady“ die Arbeitslosigkeit weiter stieg). Und so wie Thatcher damals einen Erdrutschsieg errang, schlugen die Wechselwähler 1997 mit voller Wucht zurück. Tony Blair war es zuvor gelungen, die Idee von „New Labour“ in ihren Köpfen zu verankern. Die Konservativen hatten abgewirtschaftet.

Wahlkämpfe sind dazu da, dass Parteiprogramme unter die Lupe genommen werden

Wo vergleichbare übergeordnete Leitideen für den Wahlkampf fehlen, erleben plötzlich Themen eine Karriere in der öffentlichen Diskussion, von denen man dies vorher nie vermutet hätte. Wobei der Hinweis, die „Veggie Day“-Forderung der Grünen sei doch schon lange bekannt und stehe seit April unbeachtet in deren Wahlprogramm, noch am ehesten zu vernachlässigen ist. Wahlkämpfe sind dazu da, die Wähler – die sich in den seltensten Fällen vor der heißen Phase mit den Programmen der Parteien auseinandersetzen – für die Angebote der Politik zu sensibilisieren. Dabei möge auch niemand das Spaltpotenzial der Frage „Veggie oder nicht?“ unterschätzen. Auch der heimische Küchentisch bleibt davon mitunter nicht verschont. Eltern, die nie etwas anderes als den Fleischkonsum kennengelernt haben und plötzlich erleben, dass ihre Kinder vegetarische Kost einfordern, können ein Lied davon singen.

Und dass in der politischen Debatte um den „Veggie Day“ grob, plakativ und nicht immer sachdienlich zu Werke gegangen wird – geschenkt. Wahlkämpfe sind auch dazu da, dass Parteien ihr Profil schärfen und die Wähler mit einfachen Botschaften wissen lassen, wie liberal, zukunftszugewandt oder sozial sie sind. So gesehen hat die Debatte um den fleischlosen Kantinentag für die Parteizentralen in erster Linie Symbolwert.

Die „Veggie Day“-Diskussion stimmt aus einem anderen Grund nachdenklich: Wäre der Fleischdisput im Internet nicht zu einer wahren Flut angeschwollen, hätte kaum jemand dem Grünen-Vorschlag Beachtung geschenkt. Es ist wie immer mit dem Netz, es ist Fluch und Segen zugleich. Ein Segen, wenn Politiker beim Lügen erwischt werden. Ein Fluch, wenn es zur Banalisierung des Wahlkampfs führt – wie in diesem Fall.

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