Der Bindestrich der Freiheit : West-Berlin oder Westberlin?

12.08.2013 11:33 Uhrvon
Warnschild vor dem Brandenburger Tor. Achtung, Sie verlassen jetzt West-Berlin. Foto: dpa
West-Berlin oder Westberlin? - Foto: dpa

West-Berlin oder Westberlin – das war in den Mauerjahren eine Frage von politischer Brisanz. Die Schreibweise wurde zum Symbol, ob man die Teilung der Stadt als endgültig oder vorläufig ansah.

Wer A sagt, muss auch B sagen, heißt es. Und wenn ein geografischer Ort einen Westen aufzuweisen hat, dann muss er auch einen Osten haben. Jedenfalls im Prinzip. Nicht so 1960 im Duden, herausgegeben vom VEB Bibliographisches Institut Leipzig. Dort ist zwar „Westberlin“ verzeichnet, nicht aber sein Gegenstück „Ostberlin“, von „West-Berlin“ und „OstBerlin“ ganz zu schweigen. „Berlin“ allerdings findet man, ungeteilt nach Himmelsrichtung und samt der überraschenden Erläuterung „Hauptstadt Deutschlands“ – als habe es den Zerfall der deutschen Einheit und seiner Hauptstadt, Folge des Zweiten Weltkriegs, nie gegeben.

Ganz recht, es geht um den Bindestrich, jenes unscheinbare Zeichen, das im Schriftbild zugleich trennt und verbindet, ein typographisches Paradoxon, wenn man so will, das sich gerade in Berlin, oder doch in einer seiner Hälften, jahrzehntelanger besonderer Beliebtheit erfreute. In West-Berlin wohlgemerkt, nicht in Westberlin! Denn nicht immer hat man es sich hier in Berlin mit dem Strich so leicht gemacht, wie es der Duden, diesmal in der Mannheimer Ausgabe des Dudenverlags von 2006, vorführt. „West-Berlin“ und „Ost-Berlin“ gibt es auch dort nicht, nur die bindestrichlosen Varianten, samt dem dürren Hinweis auf Regel K 143: „Zusammensetzungen mit geografischen Namen schreibt man im Allgemeinen ohne Bindestrich. Man kann jedoch einen Bindestrich setzen bei unübersichtlichen Zusammensetzungen oder wenn man den Namen hervorheben will.“

So ist also der Strich offiziell zur emotionsfreien Lesehilfe herabgesunken, während früher an ihm mindestens die Freiheit Berlins, wenn nicht die Zukunft Deutschlands hing, jedenfalls im Kleinen. An der millimeterkurzen Linie trennten sich die Geister in West und Ost, er war gleichsam für viele das typografische Pendant zur Berliner Mauer, wenngleich sein Alltagsgebrauch die Stadthälften nicht so sauber trennte wie die Betongrenze, es immer wieder Vermischungen, unklaren Gebrauch gab – sprachliche Grenzüberschreitungen, wenn man so will.

"Demokrat. Berlin" und "Westberlin"

Aber offiziell war die Sache lange Zeit eindeutig, wie ein Ost-West-Kartenvergleich zeigt. So brachte der VEB Kartenverlag Berlin 1957 einen „Straßenübersichtsplan von Berlin“ heraus, auf dem die Stadt in das „Demokrat. Berlin“ (das meinte den Osten) und „Westberlin“ zerfiel, was definiert war als „Bereich des Besatzungsregimes der USA, Großbritanniens und Frankreichs“. Immerhin fand sich als letzte Spur vergangener Einheit die den Westen wie den Osten umfassende „Bezirksgrenze von Groß-Berlin“, aber als orthografisches Versprechen einer Wiedervereinigung wollte man das garantiert nicht verstanden wissen.

Dagegen gab der Senator für Bau- und Wohnungswesen 1985 eine Karte für die in seinen Zuständigkeitsbereich fallende Stadthälfte heraus, betitelt „Berlin (West)“. Vom Bindestrich zwar keine Spur, aber dem provisorischen Status war auch durch die Klammern hinreichend Genüge getan.

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