Opfer der Berliner Mauer : Erschossen, ertrunken, erstickt

13.08.2013 12:52 UhrVon Jan Kixmüller
  • "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten" - noch am 15. Juni 1961 hatte der Staatsratsvorsitzende der DDR, Walter Ulbricht, dies auf einer internationalen Pressekonferenz im Ost-Berliner Haus der Ministerien versichert. Nur wenige Wochen später wurde dies durch den Beginn des Mauerbaus am 13. August 1961 ad absurdum geführt wurde. Foto:Günter Bratke/dpa
    "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten" - noch am 15. Juni 1961 hatte der Staatsratsvorsitzende der DDR, Walter Ulbricht, dies auf einer internationalen Pressekonferenz... - Foto:Günter Bratke/dpa
  • Am frühen Sonntagmorgen des 13. August 1961 wurde unter der Aufsicht von bewaffneten Kräften der DDR mit der Errichtung von Straßensperren aus Stacheldraht und dem Bau einer Mauer begonnen, um den Ostteil Berlins vom Westteil abzusperren. Das Foto zeigt Volkspolizisten beim Errichten von Stacheldrahtsperren am Potsdamer Platz. Foto: dpa
    Am frühen Sonntagmorgen des 13. August 1961 wurde unter der Aufsicht von bewaffneten Kräften der DDR mit der Errichtung von Straßensperren aus Stacheldraht und dem Bau einer Mauer... - Foto: dpa
  • Ein Volkspolizist und eine Angestellte der Deutschen Reichsbahn am Südrand Steinstückens an einem Bahnübergang. Auch die West-Berliner Exklave wurde 1961 mit Grenzanlagen eingezäunt, zunächst nur mit Stacheldraht. Foto: dpa
    Ein Volkspolizist und eine Angestellte der Deutschen Reichsbahn am Südrand Steinstückens an einem Bahnübergang. Auch die West-Berliner Exklave wurde 1961 mit Grenzanlagen... - Foto: dpa

Vor 52 Jahren wurde die Berliner Mauer gebaut. Manche Ostdeutsche wollten fliehen, andere wiederum wurden zu Zufallsopfern. Forscher erzählen nun die Geschichten von Mauertoten neu.

Seine Leidenschaft galt dem Motorradsport. Doch dem konnte Rainer Liebeke in der DDR nicht so nachgehen, wie er das gewollt hätte. Als er nach einer Spritztour im BMW der Westverwandtschaft von der Stasi verhört wurde, wollte er nur noch weg. Am 3. September 1986 versuchte der damals 34-Jährige mit einem Freund durch den Sacrower See nach Westberlin zu schwimmen. Der Freund schaffte es, Rainer Liebeke blieb aufgrund einer früheren Schlüsselbeinverletzung zurück. Zwei Schüler entdeckten eine Woche später seine Leiche im See.

Sammelband gibt 46 Mauertoten ein Gesicht

Rainer Liebeke ist einer von 46 Menschen, die zwischen dem Tag des Mauerbaus am 13. August 1961 und dem Mauerfall am 9. November 1989 an den Sperranlagen und Todesstreifen zwischen Berlin und dem heutigen Brandenburg ums Leben kam.

Zusammen mit den Todesopfern an den innerstädtischen Berliner Grenzanlagen kommt das Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) auf mindestens 136 Opfer des Mauerregimes der DDR. Im Vorfeld des 52. Jahrestages des Mauerbaus hat nun Hans-Hermann Hertle vom ZZF zusammen mit Maria Nooke von der Stiftung Berliner Mauer einen Sammelband mit den Kurzbiografien und Todesumständen der 46 Menschen herausgegeben, die an den knapp 113 Kilometern Grenzanlagen des Außenrings ihr Leben lassen mussten.

Darunter finden sich nicht nur Flüchtlinge, die an den Grenzanlagen erschossen wurden oder ertranken (35 Opfer), sondern auch sieben Menschen aus Ost und West, die ohne Fluchtabsicht zu Tode kamen, und vier DDR-Grenzsoldaten, die während ihres Dienstes an der Mauer getötet wurden. Die Menschen, die aus Erschöpfung oder anderen Gründen während der Grenzkontrollen starben, sind in den Zahlen nicht enthalten.

Tod an der Berliner Mauer: Bei seinem Fluchtversuch ertrank Rainer Liebeke im Sacrower See. Foto: privat
Tod an der Berliner Mauer: Bei seinem Fluchtversuch ertrank Rainer Liebeke im Sacrower See. - Foto: privat

Auf dem Heimweg nahe des Todesstreifens angeschossen

Immer wieder kamen an den Grenzanlagen Menschen aus Unachtsamkeit oder durch Missverständnisse zu Tode, die gar nicht im Sinn hatten, zu flüchten. So etwa der damals 23-jährige Herbert Mende, der 1962 unweit der Glienicker Brücke von Grenzposten angeschossen wurde und sechs Jahre später an den qualvollen Folgen seiner Verletzungen starb. Er war an einem Sonnabend im Juli 1962 zum Tanz im Jugendhaus „John Schehr“ unweit des Todesstreifens und der streng bewachten Glienicker Brücke gewesen. Kurz nach Mitternacht brach er auf, um den letzten Bus nach Hause zu erreichen. Als ihn eine Streife der Volkspolizei kontrollierte und zum Revier bringen lassen wollte, verstand der junge Mann offenbar nicht, dass dies einer vorläufigen Festnahme gleichkam. Als der von ihm erwartete Bus eintraf, fragte er den Volkspolizisten, ob der noch etwas von ihm wolle. Mende erhielt keine Antwort, also lief er los, um seinen Bus zu erreichen. Nach einem Warnschuss gab einer der Grenzposten gezielte Schüsse auf den jungen Mann ab und verletzte ihn schwer.

Herbert Mende wurden nachts auf dem Heimweg nahe der Grenzanlagen angeschossen. Foto: privat
Herbert Mende wurden nachts auf dem Heimweg nahe der Grenzanlagen angeschossen. - Foto: privat

156 Kilometer Grenzanlage - eine unterschätze Gefahr

Viele der akribisch recherchierten Fälle ereigneten sich bereits in den sechziger Jahren, in den Jahren direkt nach dem Mauerbau. Offenbar war der Druck zur Flucht damals sehr groß, so ertranken in den ersten Jahren einige Flüchtlinge bei dem Versuch, im Winter durch das eiskalte Wasser zwischen dem Umland und Westberlin zu schwimmen. Und offensichtlich unterschätzten viele die Gefahr, die von den über 156 Kilometern Grenzanlagen in und um Berlin ausging. So etwa auch Lothar Hennig, der am 4. November 1975 spätabends mit dem Bus aus der Potsdamer Innenstadt nach Sacrow kam. Wie gewohnt legte er die 400 Meter zum Elternhaus im Dauerlauf zurück. Doch in dem Grenzgebiet herrschte „Flüchtlingsalarm“. Der späte Heimkehrer erschien einem der Grenzposten verdächtig. Der Posten forderte den 21-Jährigen zum Anhalten auf und gab einen Warnschuss ab. Doch Lothar Hennig lief weiter – bis der Grenzposten ihn in den Rücken schoss.

Oft erfuhren die Familien die Todesumstände ihrer Angehörigen erst nach Öffnung der DDR-Archive in den neunziger Jahren. In der internationalen Öffentlichkeit musste die DDR – vor allem in Zeiten der Entspannungspolitik – um ihren Ruf fürchten. Deshalb wurde gemeinsam mit Grenztruppen und Staatssicherheit versucht, Todesfälle, wann immer möglich, zu verheimlichen und zu verschleiern. Dafür ließ die Stasi sogar Leichname spurlos verschwinden.

Ebenfalls Maueropfer: Auf dem Heinweg nahe der Grenzanlage wurde Lothar Hennig erschossen. Foto: privat
Ebenfalls Maueropfer: Auf dem Heinweg nahe der Grenzanlage wurde Lothar Hennig erschossen. - Foto: privat

Der Einfluss der Staatssicherheit auf das Grenzregime war offenbar erheblich. Ihr reichte es nicht, dass die Truppen im Grenzgebiet Kollaborateure anwarben. Ende der achtziger Jahre gab es rund 800 dieser Helfer, die Fluchtvorhaben schon im Planungsstadium erkennen und vereiteln sollten. Darauf und auf ihre Inoffiziellen Mitarbeiter in der Bevölkerung allein mochte die Stasi nicht vertrauen. Sie schleuste auch hauptamtliche Mitarbeiter in die Grenztruppen ein und gewann dort IMs, um Fahnenfluchten zu verhindern.

Grenzanlage war auch für Westberliner gefährlich

Auch für Westberliner war die Grenzanlage nicht ungefährlich. Am 15. Juni 1965 unternahm der 43-jährige Westberliner Geschäftsmann Hermann Döbler zusammen mit der 21-jährigen Elke Märtens einen Bootsausflug zwischen Wannsee und Griebnitzsee. Auf dem Teltowkanal gerieten sie unwissentlich auf Territorium der DDR. Ein Grenzposten gab gezielt Schüsse auf das Boot und seine Insassen ab. Hermann Döbler wurde viermal getroffen, er war sofort tot. Seine Begleiterin überlebte mit bleibenden gesundheitlichen Schäden.

Ein Zufallsopfer: Hermann Döbler war West-Berliner, der bei einem Bootsausflug völlig überraschend von den Kugeln des Grenzers getroffen wurde. Foto: privat
Ein Zufallsopfer: Hermann Döbler war West-Berliner, der bei einem Bootsausflug völlig überraschend von den Kugeln des Grenzers getroffen wurde. - Foto: privat

Viele der hier beschriebenen Maueropfer kamen letztlich durch tragische Umstände ums Leben. So auch der gerade erst 15 Monate alte Holger H. Seine Eltern flüchteten mit ihm am 22. Januar 1973 in einem Lastwagen versteckt über den Kontrollpunkt Dreilinden. Als der kleine Junge bei der Kontrolle am Grenzübergang zu weinen begann, hielt die Mutter ihm den Mund zu. Sie wusste nicht, dass er wegen einer verstopften Nase nicht atmen konnte. Die Flucht war erfolgreich, doch der kleine Junge überlebte sie nicht.

Ein vielleicht letztes Opfer forderte die Mauer, nachdem sie bereits Geschichte war. Am 31. August 1990 versuchte der 14 Jahre alte Christoph-Manuel Bramböck mit einem Freund an der Mauer in Berlin-Lichtenrade zur Erinnerung Teile aus dem Bollwerk zu klopfen. Dabei löste sich eine der übereinandergesetzten Betonplatten, aus denen die Mauer am Außenring bestand. Der Junge wurde davon erschlagen.

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Ausgerechnet die allerhässlichsten und nichtssagendsten Bauten der DDR werden jetzt unter Denkmalschutz gestellt. Damit soll wohl noch einmal so richtig die Öde der DDR als Abschreckung erhalten werden?! Nachdem man Palast der Republik und Ahornblatt nicht für erhaltenswert gehalten und schnell entsorgt hat, können diese grauenhaften Platten nun auch weg.
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